Und Wir Sehen (1922)

Die Serie „Sancta“ („Heilig“) von Nikolaj Roerich besteht aus sechs Bildern. Zu ihr gehören die Bilder „Und Wir Arbeiten“, „Und Wir bringen das Licht“, „Und Wir öffnen die Pforten“, „Und Wir setzen den Fang fort“, „Und Wir fürchten uns nicht“ sowie „Und Wir Sehen“. Diese Suite hat Nikolaj Roerich im Laufe eines Jahres während seines Aufenthaltes in Amerika geschaffen. Sie ist einem einzigen Thema gewidmet: dem großartigen Russland.
Über das Entstehen dieses Abbildes regen sich einige Legenden. Eine von ihnen lautet: Während des Heidentums regierte in der Stadt Edessa zu Lebzeiten von Jesus Christus ein Regent mit Namen Awgar, der an einer unheilbaren Krankheit litt. Er erinnerte sich daran, dass in der Welt der Juden ein Prediger namens Jesus erschienen war, den die Einen für einen Propheten hielten, und andere für den Sohn Gottes, und dass Er Heilungen mit einem Wort oder einer Berührung vollbringen könne. Daraufhin schickte Awgar einen Gesandten, der gleichzeitig Maler war, mit der Bitte um Hilfe zu Jesus, damit er Ihn einlade, in seiner Stadt zu leben, oder Sein Abbild für die Heilung zu bekommen.
An jenem Ort angekommen, an dem Christus gewöhnlich predigte, versuchte der Gesandte, Christus zu zeichnen. Aber als der Maler Ihn anschaute, erlaubte das strahlende Licht, das von Christus ausging, nicht Ihn zu zeichnen, er konnte Ihn noch nicht einmal anschauen. Als Christus feststellte, dass der Maler erfolglos versuchte, Ihn darzustellen, wusch Er sein Gesicht und legte ein weißes Leinentuch darauf, auf dem Sein Antlitz abgebildet wurde.
Der Regent wurde, nachdem er dieses Leinentuch erhielt, gesund und befahl, dieses Abbild auf eine wetterfeste Tafel zu heften und in einer Nische über den Stadttoren aufzuhängen.
Nach einer Weile bekehrten sich Awgar und seine Untertanen zum Christentum. Aber einer von Awgars Nachkommen kehrte zum Heidentum zurück und wollte das nicht von Menschenhand geschaffene Abbild zerstören. Daraufhin befahl der Bischof, um das Abbild zu retten, die Nische, in der das Leinentuch war, mit Ziegeln zuzumauern.
Und so ist dieses Heilige Abbild ist nicht vergangen, und als es nach zwei Jahrhunderten wieder ans Tageslicht geholt wurde, konnten alle sehen, dass es unversehrt war. Und als die persische Armee auf die Stadt Edessa zumarschierte, um sie einzunehmen, ging der damalige Bischof zusammen mit der ganzen Geistlichkeit und dem Volk mit diesem Abbild um die Stadtmauern herum, und der Feind zog sich plötzlich von der Stadt zurück und kehrte um.
Im 10. Jahrhundert bot der byzantinische Kaiser Konstantin VII. eine gewaltige Summe für das nicht von Menschenhand geschaffene Abbild, und so gelangte das Abbild nach Konstantinopel. Im 11. Jahrhundert wurde die Stadt von den Kreuzrittern zerstört, und das nicht von Menschenhand geschaffene Abbild ging verloren. Seitdem ist nichts mehr darüber bekannt. Die Abbildung dieses Antlitzes jedoch, von verschiedenen Malern kopiert, ist erhalten geblieben.
Die Darstellungen des nicht von Menschenhand geschaffenen Antlitzes wurden häufig über Kirchenportalen angebracht. Ähnliche Darstellungen wurden auch über den Einfahrtstoren in den Kreml großer Städte, z.B. in Moskau, Smolensk, Nowgorod und anderer altrussischen Städte, angebracht. Und jeder unter ihnen Hindurchgehende musste seine Kopfbedeckung abnehmen, ansonsten zwangen die Torwächter jeden, der diese Anordnung nicht Folge leistete, dazu, sich bis zum Boden vor dem Heiligen Abbild zu verbeugen.