Pilger der lichten Stadt (1933)

Das Gemälde „Pilger der lichten Stadt“ ist wegen der Besonderheiten in seiner Komposition, den Farben und des komplizierten metaphorischen Charakters der Darstellungen besonders bemerkenswert.
Das zentrale Thema des Gemäldes ist verständlich, allerdings ist es zugleich verborgen, halbreal und symbolisch. Im Vordergrund sehen wir einen Wanderer mit einem Stoffsack auf der Schulter und einem Stab in der Hand.
Die Umrisse des hinteren Bildteils sind fließend und durch einen einheitlichen Farbton verallgemeinert. Die Gestalt des Wanderers strahlt das Gefühl von Last und Müdigkeit aus. Gleichzeitig strahlt sie aber auch ein allgemeines Gefühl der Hoffnung aus, weil der Wanderer die Heilige Kirche der Stadt endlich erreicht.
„Was für ein Weg ist das, wenn er nicht zur Kirche führt?“ Das lange Umherwandern und die geistige Suche ließ den Wandernden endlich das schöne und helle Kloster aus weißem Stein erreichen. Dieses Kloster erinnert an einen heiligen Ort, eine wahrhaft himmlische Stadt, die irgendwo hinter schönen unendlichen Bergen vor zufälligen Blicken verborgen ist.
Und so ist das Bild der lichten Stadt die Schlüsseldarstellung im Gemälde, da sich die Kräfte des Geistes gerade hier sammeln und vereinen. Die lichte Stadt konnte nur zwischen dem hohen Himmel und den mächtigen Bergen entstehen. Die Hauptfigur auf dem Gemälde konnte diese Höhe des Himmels und der Berge fühlen, weil gerade sie den Wanderer zur lichten Stadt geführt haben.
„Die Pilger gehen nach Shambhala, in das Königreich Opona. Keine Hindernisse können das Streben des Geistes aufhalten. Man kennt sowohl den Priesterkönig Johannes als auch Gesar und den Herrscher von Shambhala. Hinter den weißen Bergen läuten die Glocken des Klosters. ˂… ˃ Die blauen Sterne der Kornblumen blühen auf dem Gold der Roggenfelder… Jedoch du, der gekommen ist, welche Felder hast du bestellt? Gehe nicht an den Feldern, die sich nach Liebe sehnen, vorüber. Bestelle diese mit dem Gold der freien Bestrebungen. Nimm die Ähre, darin findest du das Korn für die Saat. Möge aus jedem Korn, das du gesät hast, eine neue lichte Stadt, die alle Eins sind, entstehen. Unfruchtbar sind die Felder, die nicht besät sind… Möge eine rote Nelke auf deiner Brust aufblühen. Geh. Ich werde Dich auf dem Weg treffen.
Die lichte Stadt steht am reinen See. Zu ihr führen vier Brüderschaften: Iwanowo, die östliche Brüderschaft des religiösen Schaffens und der Predigt des Geistes; Bojanowo, die Nordbrüderschaft der Magie der Kunst; die Pythagoreische, die westliche Brüderschaft der Wissenschaft und der Philosophie; Mikulino, die Südbrüderschaft der Liebe und des Opfers. Die Pilger absolvierten ihre Pilgerfahrten und berichteten einander darüber. Hierzu trafen sie sich an einer verabredeten Stelle und nahmen ein gemeinsames Mahl unter freiem Himmel zu sich, das aus Brot und Früchten bestand. Sind solche Pilgersuchen nicht wunderschön?“. (N.K.Roerich: „Die flammende Festung“, „Die lichte Stadt“. Paris, 1932, S. 104-105.)