Die Hüterin der Welt (1933)

„Die Hüterin der Welt“ – so hat Nikolaj Roerich, auf dessen Bilder Legenden, Sagen und Helden mit Leben erfüllt wurden, sein Werk genannt. Er hat das Bild seiner Frau Helena gewidmet, die seine Geistesverwandte und aufrichtige Helferin war und die mit ihm alle Mühen seiner Reisen teilte. Auf dem Bild stellt sie sich in Gestalt der legendären Uta von Naumburg vor.
Markgräfin Uta steht zwischen den hohen Berggipfeln, die seit alters als Symbol des geistigen Aufstieges dienen. In ihren Händen hält sie eine geheimnisvolle Schatulle, in der ein wertvoller Talisman – der Himmlische Stein – aufbewahrt wurde, in seiner Form dem menschlichen Herz ähnlich. Dieselbe Schatulle, so scheint es, ist unter den Falten von Utas Umhang im Naumburger Dom verborgen. Noch ist die Zeit nicht gekommen, um den Schatz der ganzen Welt zu zeigen.
Zur Erläuterung des Sinnes des Bildes schrieb Nikolaj Roerich: „Unter den vielschichtigen Decken bildet die menschliche Weisheit eine einheitliche Gestalt aus Schönheit, Selbstaufopferung und Geduld. Und eine Frau soll erneut auf den neuen Berg gehen und den ihr Nahestehenden die ewigen Wege lehren“.
Die Schatulle in den Händen der Frau wirkt wie ein Schatz der Kultur, wie ein Symbol der schöpferischen Bestrebungen, auf die sich die Welt stützt. Der zweite Titel dieses Bildes lautet „Die den Stein Tragende“. Nach Nikolaj Roerichs Worten ist in der Schatulle „der Stein, den der berühmte Meistersinger Wolfram von Eschenbach besang und der sein Lied mit den Worten beendete: ‚Und dieser Stein heißt Gral‘„.
Im Ritterroman „Parzival“ von Wolfram von Eschenbach (13. Jh.) trägt diesen Stein eine schöne Frau, gekrönt mit einer Krone. Es ist Königin Repance de Schoye (Alt.-fr. „Die Freude Austeilende“) aus dem Geschlecht der Hüter des Grals: „Eine wunderbare Erscheinung ist geschehen. Ist die Sonne so hell aufgeflammt, dass es scheint, als sei die Nacht gewichen? Nein! Die Königin betrat den Saal! Vom strahlenden Antlitz der Saal ist beleuchtet, der Wunder groß kündigte sie an… Und vor dem bebenden Saal erschien er… der Quell erlauchter Freuden… die paradiesische Gabe, der Überfluss der irdischen Glückseligkeit, der begehrenswerte Stein Gral“.